Von einer „schwerwiegenden Erkrankung“ im Sinne von § 31 Abs. 6 SGB V ist auszugehen, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Dies ist bei einem Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit nicht der Fall



Landessozialgericht Baden-Württemberg 4. Senat
  26.02.2021
  L 4 KR 1701/20
Juris


Leitsatz

Von einer „schwerwiegenden Erkrankung“ im Sinne von § 31 Abs. 6 SGB V ist auszugehen, wenn es sich um eine lebensbedrohliche oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Dies ist bei einem Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit nicht der Fall.


Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist die Versorgung des Klägers mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 mit einer Tagesdosis von 2,5 g zur Behandlung eines Schlafapnoesyndroms und dessen Folgen streitig.

Der 1972 geborene Kläger ist Mitglied der Beklagten und leidet an einem Schlafapnoe-Syndrom mit Schlafstörungen und Zähneknirschen (Bruxismus).

Am 29. November 2018 beantragte der Kläger bei der Beklagten unter Vorlage des von dem behandelnden Facharzt für Allgemeinmedizin Dr. R. unter dem 20. November 2018 ausgefüllten Arztfragebogens die Kostenübernahme für die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 mit einer abendlichen Tagesdosis von 2,5 g. Dr. R. gab an, er wolle dem Kläger wegen eines Schlafapnoesyndroms mit Schlafstörungen und Zähneknirschen zur Verbesserung der Schlafstörung und der Tagesmüdigkeit Cannabisblüten mit einer abendlichen Tagesdosis von 2,5 Gramm verordnen. Die Erkrankung sei schwerwiegend, da trotz der seit dem Jahr 2014 durchgeführten CPAP (= Continuous Positive Airway Pressure)-Therapie Tagesmüdigkeit bestehe. Weitere Erkrankungen bestünden nicht. Auch nehme der Kläger keine weiteren Medikamente ein. Die CPAP-Therapie sei nicht ausreichend, da weiterhin Tagesmüdigkeit bestehe. Bei einem Eigenversuch mit Cannabis habe sich diese wesentlich gebessert. Alternative Behandlungsoptionen gebe es nicht. Zur weiteren Begründung fügte Dr. R. zahlreiche Unterlagen aus dem Internet zu dem Thema Cannabisgebrauch bei obstruktiver Schlafapnoe bei (Bl. 1-30 der Verwaltungsakte ). Die Beklagte holte daraufhin das Gutachten des Dr. S. vom Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) vom 5. Dezember 2018 ein, der ausführte, es lägen keinerlei Arztberichte, z.B. von dem behandelnden Facharzt für Innere Medizin und Pneumologie Dr. W., oder Schlaflaborbefunde mit polysomnographischen Auswertungen bzw. Befundberichte vor. Im vorliegenden Fall könne zwar von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen werden, obschon den vorgelegten Unterlagen keine Qualifizierungen (z.B. Atempausen von mehr als zehn Sekunden) zu entnehmen seien. Es handle sich aber nicht um eine lebensbedrohliche, notstandsähnliche Situation. Aus der S3-Leitlinie „Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörung – Schlafbezogene Atmungsstörungen der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM)“ [im Folgenden: S3-Leitlinie]“ lasse sich nicht ableiten, dass bei nicht zufriedenstellenden Therapieerfolgen mit CPAP keine weiteren, anerkannten Therapiemethoden mehr zur Verfügung stünden. So gäbe es neben der Gewichtsreduktion auch Therapieverfahren mit Unterkieferprotrusionsschienen und Maßnahmen zur Vermeidung des Schlafes in Rückenlage sowie chirurgische Therapieverfahren. Hierauf gestützt lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 11. Dezember 2018 die Übernahme der Kosten für cannabishaltige Arzneimittel ab.

Mit seinem hiergegen am 11. Januar 2019 eingelegten Widerspruch trug der Kläger vor, die wesentliche Erkrankung sei vorliegend das Schlafapnoesyndrom. Zwar werde diese mit einer CPAP-Versorgung therapiert und pneumologisch scheine eine ordentliche Einstellung vorzuliegen. Allerdings bestehe ein sehr unruhiger Schlaf, so dass er sich ständig hin- und herwälze. Zudem habe er ein Druck- und Engegefühl mit der Maske, so dass er die Maske ständig auswechsle. Es komme immer wieder zu Anpassungsschwierigkeiten, Entzündungen und krankhaften Zuständen. Trotz der CPAP-Versorgung bestehe ständig Tagesmüdigkeit, da der Schlaf nicht erholsam sei. Er wache morgens völlig übermüdet auf und das Gesicht sei stark angeschwollen. Das Schlafapnoesyndrom sei vorliegend als besonders schwere Erkrankung zu klassifizieren. Die CPAP-Versorgung sei zwar pneumologisch „schon in Ordnung“, führe aber nicht zu einem besseren Schlafverhalten und einem erholsameren Schlaf. Alle Therapieversuche hätten nichts gebracht. Bisher eingenommene Opiate und Schlafmittel hätten zu Nebenwirkungen geführt. Die Verwendung von Cannabisblüten habe hingegen zu einem erholsamen und ruhigen Schlaf geführt und eine Tagesmüdigkeit habe nicht mehr bestanden. Mit Widerspruchsbescheid vom 8. Mai 2019 wies der Widerspruchsausschuss der Beklagten den Widerspruch zurück und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, aus dem Gutachten des MDK vom 5. Dezember 2018 folge, dass die in § 31 Abs. 6 SGB Fünftes Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) genannten Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Dieses Gutachten lege auch der Widerspruchsausschuss seiner Entscheidung zu Grunde, so dass dem Widerspruch nicht abgeholfen werden könne.

Hiergegen erhob der Kläger am 31. Mai 2019 Klage beim Sozialgericht (SG) R. und wiederholte seine Begründung im Widerspruchsverfahren.

Die Beklagte trat der Klage unter Hinweis auf das Gutachten des MDK vom 5. Dezember 2018 entgegen und verwies zudem hinsichtlich weiterer Therapiemethoden auf die S3-Leitlinie.

Das SG hat zu weiteren Aufklärung des Sachverhalts Dr. R., der vom Kläger in der Schweigepflichtentbindungserklärung als einzig behandelnder Arzt benannt wurde, und Dr. W. als sachverständige Zeugen schriftlich vernommen. Dr. R. hat ausgeführt (Auskunft vom 12. September 2019), der Kläger sei regelmäßig bei ihm wegen eines Schlafapnoesyndroms mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit, einem Bandscheibenschaden mit Lumboischialgie rechts im Bereich L5/S1 mit Nervenwurzelreizungen rechts, einer Metatarsalgie beidseits (Schmerz im Bereich des Fußgewölbes) wegen Knick-Senkfüßen und einer Arthralgie beider Kreuzdarmbeingelenke in Behandlung. Als Untersuchungsbefund hätten sich druckschmerzhafte paravertebrale Myogelosen sowie eine Druckschmerzhaftigkeit beider Kreuzdarmbeingelenke gezeigt. Im Vordergrund stehe jedoch das Schlafapnoesyndrom mit erheblicher Störung des Schlafes durch den Gebrauch der Atemmaske. Aufgrund der Schlafstörung bestehe weiterhin eine erhebliche Tagesmüdigkeit. Der Kläger sei wohl in lungenfachärztlicher und orthopädischer Mitbehandlung, allerdings lägen ihm trotz Überweisung keinerlei Facharztberichte vor. Den Feststellungen des MDK könne er nur teilweise zustimmen. Der Kläger sei inzwischen im Besitz einer Unterkieferprotrusionsschiene. Entsprechende Alternativen zu einem Cannabisprodukt seien diverse Schlafmittel, die teilweise ein erhebliches Abhängigkeitspotenzial und stärkere Nebenwirkungen als Cannabis aufwiesen. Aus diesem Grund habe der Kläger den Versuch mit entsprechenden Medikamenten abgelehnt. Zudem habe der Kläger im Eigenversuch mit Cannabis bereits eine wesentliche Besserung seines Allgemeinzustandes hinsichtlich der Tagesmüdigkeit erzielt. Für ihn heiße dies insgesamt, dass der Kläger eigentlich mit einem Cannabisprodukt versorgt werden sollte. Das einzige Manko sei das Fehlen von Facharztbefunden wegen der Diagnosesicherung. Dr. W. hat mitgeteilt (Auskunft vom 19. Dezember 2019), er habe den Kläger zuletzt im Oktober 2016 gesehen und untersucht. Im Jahr 2019 habe der Kläger lediglich um Überlassung der bisherigen Krankenunterlagen gebeten. Er selbst habe keinerlei Erfahrung mit Cannabis als therapeutische Möglichkeit.

Mit Gerichtsbescheid vom 28. April 2020 wies das SG die Klage nach Anhörung der Beteiligten ab und führte zur Begründung im Wesentlichen aus, der Kläger habe keinen Anspruch auf die Versorgung mit Medizinal-Cannabisblüten. Aus dem Fragebogen des Dr. R. vom 20. November 2018 folge, dass er die vom Kläger beanspruchten Cannabisblüten zur Behandlung eines Schlafapnoesyndroms sowie eines Bruxismus mit dem Ziel einer Verbesserung des Schlafverhaltens und damit einhergehend der Tagesmüdigkeit anwenden wolle. Allein aus diesen Angaben lasse sich keine Annahme einer schwerwiegenden Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V begründen. Wann eine Erkrankung schwerwiegend sei, ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus § 31 Abs. 6 SGB V, sei aber sowohl unter Zugrundelegung der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum so genannten „Off-Label-Use“ (Bezugnahme auf Urteil vom 20. März 2018 – B 1 KR 4/17 R) als auch nach Maßgabe des § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 3 Arzneimittel-Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) als solche Erkrankung auszulegen, die lebensbedrohlich sei oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtige. Zwar könne ein ausgeprägtes Schlafapnoesyndrom die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigen. Vorliegend liege indessen kein fachärztlicher Befund mit aussagekräftigem Schlaflaborbefund mit polysomnographischer Auswertung vor, der Aufschluss über den Schweregrad (Apnoe-Hypopnoe-Index und Respiratory-Disturbance-Index) des Schlafapnoesyndroms zulasse. Gleichermaßen liege kein zahnärztlicher bzw. kieferorthopädischer Befund über das Vorhandensein typischer Anzeichen und Symptome eines Bruxismus vor (Zahnverschleiß, Zahnfrakturen, Schmerzen im Kiefergelenk etc.). Mangels einschlägiger fachärztlicher Diagnostik sei eine schwerwiegende Erkrankung im Sinne des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V nicht beweissicher festzustellen. Die Angaben des Dr. R. beruhten auf den subjektiven Angaben des Klägers, ohne dass dem eine fachspezifische Befunderhebung zugrunde liege. Auch sei der Pneumologe Dr. W. zuletzt im Jahr 2016 konsultiert worden. Da grundsätzlich allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Behandlung eines Schlafapnoesyndroms sowie eines Bruxismus zur Verfügung stünden, sei nach § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V erforderlich, dass diese im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitsbildes des Versicherten nicht zur Anwendung kommen könnten. Durch Dr. R. sei keine der Anspruchsnorm entsprechende begründete Einschätzung abgegeben worden. Cannabis-Arzneimittel als Therapiealternativen sollten erst dann zur Anwendung kommen, wenn die durch Studien belegten schulmedizinischen Behandlungsmöglichkeiten auch unter Berücksichtigung von Nebenwirkungen im Ausmaß einer behandlungsbedürftigen Krankheit, die mit überwiegender Wahrscheinlichkeit eintreten werde, ausgeschöpft worden seien. Dabei müssten die Ärzte auch die Nebenwirkungen von Cannabis-Arzneimitteln berücksichtigen. Zur Behandlung des Schlafapnoesyndroms stünden nach der S3-Leitlinie neben der CPAP-Therapie mittels Atemtherapiegeräten allgemeine Maßnahmen einer ausreichenden Schlafhygiene sowie medikamentöse und operative Behandlungsansätze zur Verfügung. Welche Behandlungsergebnisse mit der nach Angaben des Dr. R. vom Kläger zwischenzeitlich getragenen Unterkieferprotrusionsschiene erzielt worden seien, seien von diesem nicht beschrieben worden. Aus den Angaben ginge nicht hervor, ob weitere Nicht-CPAP-Verfahren und mit welchem Ergebnis zur Anwendung gekommen seien. Mangels Vorlage fachärztlicher Befundunterlagen könne nicht nachvollzogen werden, dass beim Kläger die CPAP-Therapie gescheitert sei oder nicht mehr optimiert werden könne. Unklar bleibe auch, weshalb den in der Widerspruchsbegründung beschriebenen Druckstellen im Gesicht nicht durch Anpassung einer geeigneten Maske (Oral-, Nasal- und Vollgesichtsmasken) Rechnung getragen werden könne. Zudem habe sich Dr. R. nicht mit den konkreten Nebenwirkungen von Cannabis-Arzneimitteln auseinandergesetzt. Eine begründete Einschätzung liege daher nicht vor. Eine solche könne im Übrigen nur im Verwaltungsverfahren vorgelegt werden und könne nicht durch nachgängige Ermittlungen eines Gerichts nachgeholt oder gar substituiert werden. Insoweit gelte, dass das Gericht nicht und insbesondere nicht durch eine aufwändige Beweisaufnahme zu klären habe, ob die Einschätzung des behandelnden Vertragsarztes zutreffe. Ein solches Vorgehen verkenne die Konzeption des § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V. Im Gerichtsverfahren sei allein entscheidungserheblich, ob der behandelnde Vertragsarzt eine begründete Einschätzung abgegeben habe. Fehle es hieran, sei die gesetzliche Anspruchsvoraussetzung nicht erfüllt. Etwaige Sachverständigengutachten seien schon begrifflich nicht in der Lage, die fehlende begründete Einschätzung des Vertragsarztes zu substituieren. Schließlich könne nicht festgestellt werden, dass für eine Behandlung eines Schlafapnoesyndroms sowie eines Bruxismus mit Cannabinoiden eine ausreichende Datenlage vorliege. Rein experimentelle Behandlungsmethoden, die nicht durch hinreichende Indizien gestützt seien, müsse die gesetzliche Krankenversicherung nicht gewähren. Eine Mindestevidenz im Sinne des Vorliegens erster wissenschaftlicher Erkenntnisse, wonach bei einem Schlafapnoesyndrom sowie eines Bruxismus durch den Einsatz von Cannabinoiden ein therapeutischer Erfolg zu erwarten sei, sei nach den Feststellungen des MDK im Gutachten vom 5. Dezember 2018 nicht anzunehmen. Die Wirkung von medizinischem Cannabis auf Schlafstörungen sei bisher nicht als Hauptergebnis (primärer Endpunkt) einer Studie untersucht worden. Beim Kläger stehe im Übrigen nicht die schmerzbedingte Beeinträchtigung des Nachtschlafs, sondern seine Tagesmüdigkeit im Vordergrund. Die im Antragsverfahren vorgelegten Veröffentlichungen hätten zum Teil Untersuchungen über den Einsatz synthetischer Cannabis-Extrakte betroffen und hätten allenfalls Fallserien sowie Studien im Versuchsstadium zum Gegenstand gehabt, ohne dass hieraus eine Mindestevidenz für eine therapeutische Wirksamkeit abzuleiten sei. Zudem fehlten belastbare Erkenntnisse darüber, wie Cannabisblüten die Schlafqualität beeinflussten und wie es um die Langzeitverträglichkeit bestellt sei. Damit handele es sich bei der beantragten Therapie um eine rein experimentelle Therapie, auf die auch im Rahmen des § 2 Abs. 1a SGB V kein Anspruch bestehe. Die Therapiehoheit des behandelnden Arztes führe zu keinem anderen Ergebnis, da dessen Einschätzung im vorliegenden Fall weder die Alternativlosigkeit der Behandlung noch eine hinreichende Evidenz belegt habe.

Hiergegen richtet sich die am 19. Mai 2020 beim SG zum Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg eingereichte Berufung des Klägers, mit der er geltend macht, er leide an einem nicht therapierbaren Schlafapnoesyndrom mit Bruxismus, wodurch seine Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt sei. Zwar stünden grundsätzlich Atemtherapiegeräte zur Verfügung, bei ihm könnten diese jedoch nicht erfolgreich angewendet werden. Insofern bestehe keine allgemein anerkannte medizinische Standardbehandlung, die bei ihm erfolgversprechend sei. Alle zur Verfügung stehenden Therapieoptionen seien ausgeschöpft. Die Nutzung von Cannabis in Form von getrockneten Blüten führe zu ganz erheblicher nächtlicher Entspannung, so dass sowohl die Folgen der Schlafapnoe als auch des Bruxismus deutlich gemildert seien. Damit bestehe wieder erholsamer Schlaf und zugleich entfalle hierdurch weitestgehend die Tagesmüdigkeit sowie die Konzentrations- und Gedächtnisschwäche. Im Übrigen liege seinem Begehren eine begründete Einschätzung des Vertragsarztes zu Grunde. Nachdem es sich um eine neuere Behandlungsmethode handle, lägen noch keine umfassenden Evidenzberichte vor. Es sei aber unbestritten, dass eine Cannabis-Therapie nicht rein experimentell sei. Es lägen ausreichend Erkenntnisse darüber vor, dass die Cannabistherapie zu einer Muskelentspannung führe und damit zu einer Verbesserung der Schlafapnoe und des Bruxismus.

Der Kläger beantragt (sachdienlich ausgelegt),

den Gerichtsbescheid des SG R. vom 28. April 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 11. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Mai 2019 zu verurteilen, ihm täglich Medizinial-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 (2,5 g) als Sachleistung zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend und bezieht sich im Übrigen auf die Ausführungen im Widerspruchsbescheid und auf das Gutachten des MDK vom 5. Dezember 2018.

Die Beteiligten haben sich mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten erster und zweiter Instanz sowie auf die von der Beklagten vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.


Entscheidungsgründe

1. Die nach § 151 Abs. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) form- und fristgerecht beim SG (§ 151 Abs. 2 SGG) eingelegte Berufung des Klägers, über die der Senat aufgrund des Einverständnisses der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entscheiden konnte (§§ 153 Abs. 1, 124 Abs. 2 SGG), ist gemäß §§ 105 Abs. 2 Satz 1, 143 SGG statthaft und zulässig. Sie bedurfte insbesondere nicht der Zulassung, da der Kläger die tägliche Versorgung mit 2,5 g Cannabisblüten nach ärztlicher Verordnung und damit Leistungen für einen Zeitraum von mehr als einem Jahr begehrt (§ 144 Abs. 1 Satz 2 SGG).

2. Die kombinierte Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 und Abs. 4 SGG) ist zulässig. Der Senat hat nach dem Vorbringen des anwaltlich vertretenen Klägers keine Anhaltspunkte dafür, dass das Begehren des Klägers (§ 123 SGG) so auszulegen wäre, dass er im Berufungsverfahren neben dem Sachleistungsanspruch auch Kostenerstattung für die Vergangenheit wegen bereits erfolgter Selbstbeschaffung von Cannabisblüten begehrt. Als eine Änderung der Klage ist es zwar nicht anzusehen, wenn ohne Änderung des Klagegrundes statt der ursprünglich geforderten Leistung wegen einer später eingetretenen Veränderung eine andere Leistung verlangt wird (§ 99 Abs. 3 Nr. 3 SGG). Dies ist etwa der Fall bei der Umstellung eines Sachleistungsbegehrens auf einen Kostenerstattungsanspruch (vgl. BSG, Urteil vom 26. Februar 2019 – B 1 KR 24/18 R – juris, Rn. 8). Voraussetzung ist allerdings, dass das entsprechende Kostenerstattungsbegehren hinreichend zum Ausdruck kommt. Dies ist hier nicht der Fall. Der Kläger hat zu keinem Zeitpunkt geltend gemacht, dass er sich in der Vergangenheit bzw. während des Verfahrens die hier begehrten Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 selbst beschafft und ihm hierdurch erstattungsfähige Kosten entstanden sind.

Streitgegenständlich ist der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Mai 2019 (§ 95 SGG).

3. Die Berufung ist nicht begründet. Das SG hat die Klage zu Recht abgewiesen. Denn der Bescheid der Beklagten vom 11. Dezember 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. Mai 2019 ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Kläger hat keinen Anspruch auf eine zukünftige Versorgung mit Medizinial-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 (2,5 g täglich). Denn die Beklagte hat die Bewilligung der begehrten Leistung nicht zu Unrecht abgelehnt. Die Voraussetzungen für eine zukünftige Versorgung gemäß § 31 Abs. 6 SGB V liegen nicht vor. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass der Kläger an einer schwerwiegenden Erkrankung leidet und eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung für die beim Kläger bestehende Erkrankung nicht zur Verfügung steht bzw. wegen Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes des Klägers nicht zur Anwendung kommen kann.

Der Kläger hat keinen Sachleistungsanspruch gegen die Beklagte.

Nach § 27 Abs. 1 Satz 1 SGB V haben Versicherte Anspruch auf Krankenbehandlung, wenn sie notwendig ist, um eine Krankheit zu erkennen, zu heilen, ihre Verschlimmerung zu verhüten oder Krankheitsbeschwerden zu lindern. Die Krankenbehandlung umfasst gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 SGB V auch die Versorgung mit Arzneimitteln (§ 31 SGB V). Gemäß § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V haben Versicherte mit einer schwerwiegenden Erkrankung Anspruch auf Versorgung mit Cannabis in Form von getrockneten Blüten oder Extrakten in standarisierter Qualität und auf Versorgung mit Arzneimitteln mit den Wirkstoffen Dronabinol und Nabilon, wenn (1.) eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung nicht zur Verfügung steht (a) oder (b) im Einzelfall nach der begründeten Einschätzung der behandelnden Vertragsärztin oder des behandelnden Vertragsarztes unter Abwägung der zu erwartenden Nebenwirkungen und unter Berücksichtigung des Krankheitszustandes der oder des Versicherten nicht zur Anwendung kommen kann, (2.) eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht. Die Leistung bedarf bei der ersten Verordnung für eine Versicherte oder einen Versicherten der nur in begründeten Ausnahmefällen abzulehnenden Genehmigung der Krankenkasse, die vor Beginn der Leistung zu erteilen ist (§ 31 Abs. 6 Satz 2 SGB V).

Der Kläger hat am 29. November 2018 bei der Beklagten einen Antrag für die Anwendung von Cannabisblüten gestellt. Beigefügt war der Arztfragebogen des Dr. R. vom 20. November 2018. Darauf, dass dem Antrag keine vertragsärztliche Verordnung beigefügt war, kommt es im vorliegenden Fall nicht an. Zwar ist es in der Rechtsprechung bislang umstritten, ob für den Leistungsanspruch bereits bei Antragstellung eine vertragsärztliche Verordnung erforderlich ist (so Bayerisches LSG, Beschluss vom 25. Juni 2018 – L 4 KR 119/18 B ER – juris, Rn. 55 m.w.N.; gegen das Erfordernis einer vertragsärztlichen Verordnung: LSG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 6. März 2018 – L 5 KR 16/18 B ER – juris, Rn. 15; s. auch Nolte, in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2019, § 31 SGB V Rn. 75g). Der Senat kann diese Frage hier offenlassen, da er davon ausgeht, dass beim Kläger schon keine schwerwiegende Erkrankung besteht und zudem für die bei ihm vorliegende Erkrankung allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen zur Verfügung stehen und kein Anwendungsausschluss vorliegt (hierzu sogleich).

Beim Kläger besteht keine schwerwiegende Erkrankung im Sinne der §§ 27 Abs. 1 Satz 1, 31 Abs. 6 Satz 1 SGB V. Der Kläger leidet an einem Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen (Bruxismus) und Tagesmüdigkeit, an einem Bandscheibenschaden mit Lumboischialgie rechts im Bereich L5/S1 mit Nervenwurzelreizungen rechts, an einer Metatarsalgie beidseits wegen Knick-Senkfüßen und an einer Arthralgie beider Kreuzdarmbeingelenke. Dies entnimmt der Senat der sachverständigen Zeugenauskunft des Dr. R. vom 12. September 2019. Allein ausschlaggebend für die beabsichtigte Verordnung von Cannabisblüten ist aber nur das Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen (Bruxismus) und die hierdurch verursachte Tagesmüdigkeit des Klägers. Dies folgt aus den Angaben des Dr. R. im Arztfragebogen vom 20. November 2018. Denn bei der Frage Nr. 3a hat er angegeben, dass mit dem in den Medizinial-Cannabisblüten der Sorte Pedanios 22/1 (2,5 g) enthaltenen THC (Wirkstoff) das Schlafapnoesyndrom mit Schlafstörungen und Zähneknirschen behandelt werden soll. Hierbei ist Behandlungsziel die „Verbesserung der Schlafstörung, Verbesserung dadurch der Tagesmüdigkeit durch Besserung des Schlafapnoesyndroms“. Dies entnimmt der Senat der Antwort (Frage Nr. 3b) des Dr. R. im genannten Arztfragebogen. In seiner Auskunft vom 12. September 2019 hat er zudem bestätigt, dass im Vordergrund das Schlafapnoesyndrom mit einhergehender erheblicher Störung des Schlafes (durch den Gebrauch der Atemmaske) und Tagesmüdigkeit steht.

Der Begriff der „schwerwiegenden Erkrankung“ wird in § 31 Abs. 6 SGB V nicht definiert. Dem Ausnahmecharakter der Vorschrift folgend ist von einer schwerwiegenden Erkrankung dann auszugehen, wenn es sich - in Anlehnung an § 34 Abs. 1 Satz 2, § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V - um eine lebensbedrohliche oder aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung handelt (vgl. Wagner, in: Krauskopf, Soziale Krankenversicherung/Pflegeversicherung, Stand September 2020, § 31 SGB V Rn. 48; Pitz in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, 4. Aufl., Stand Juni 2020, § 31 SGB V Rn. 125; Nolte, in: Kasseler Kommentar, Stand Dezember 2019, § 31 Rn. 75d; vgl. auch LSG Baden-Württemberg, Beschluss vom 19. September 2017 – L 11 KR 3414/17 ER-B – juris, Rn. 28; LSG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 25. Februar 2019 – L 11 KR 240/18 B ER – juris, Rn. 60). Auch bei § 35c Abs. 2 Satz 1 SGB V geht es um die Verwendung von Arzneimitteln als Alternative zu bestehenden Behandlungsmöglichkeiten, ohne dass bereits ausreichendes wissenschaftliches Erkenntnismaterial in Bezug auf den Nachweis einer Wirksamkeit zur Verfügung steht. § 34 Abs. 1 Satz 2 SGB V i.V.m. § 12 Abs. 3 Arzneimittel-Richtlinie des GBA (i.d.F. vom 18. Dezember 2008/22. Januar 2009, zuletzt geändert am 17. Dezember 2020 [Bundesanzeiger AT 18. Januar 2021 B7]) definiert eine Krankheit als schwerwiegend, wenn sie lebensbedrohlich ist, oder wenn sie aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigt. Das entspricht der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zum sog. Off-Label-Use bei schwerwiegenden Erkrankungen (BSG, Urteil vom 26. Mai 2020 – B 1 KR 9/18 R – juris, Rn. 34; Urteil vom 6. März 2012 – B 1 KR 24/10 R – juris, Rn. 26 m.w.N.; Urteil vom 28. Februar 2008 – B 1 KR 15/07 R – juris, Rn. 33: „Nicht jede Art von Erkrankung kann den Anspruch auf eine Behandlung mit dazu nicht zugelassenen Arzneimitteln begründen, sondern nur eine solche, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt.“). Hierbei sollen in erster Linie Patienten vor inakzeptablen und unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit geschützt werden (BSG, Urteil vom 26. September 2006 – B 1 KR 14/06 R – juris, Rn. 11).

Bei den beim Kläger vorliegenden Erkrankungen handelt es sich weder um lebensbedrohliche noch um aufgrund der Schwere der durch sie verursachten Gesundheitsstörungen die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigenden Erkrankungen, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Dass es sich bei dem beim Kläger vorliegenden Schlafapnoesyndrom mit Zähneknirschen und Tagesmüdigkeit um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt, behauptet weder der Kläger noch sind hierfür Anhaltspunkte ersichtlich. Auch Dr. S. hat in seinen Gutachten vom 5. Dezember 2018, welches im Wege des Urkundenbeweises verwertet werden konnte (vgl. etwa BSG, Beschluss vom 14. November 2013 – B 9 SB 10/13 B – juris, Rn. 6; BSG, Urteil vom 5. Februar 2008 – B 2 U 8/07 R – juris, Rn. 51), die nachvollziehbare Auffassung vertreten, dass es sich bei der genannten Erkrankung nicht um eine lebensbedrohliche Erkrankung handelt. Dem von Dr. R. in seiner Auskunft vom 12. September 2019 mitgeteilten Befundbericht lässt sich ebenfalls nicht entnehmen, dass die beim Kläger vorliegenden Erkrankungen lebensbedrohlich sind. Dr. R. hat lediglich druckschmerzhafte paravertrebrale Myogelosen, eine Druckschmerzhaftigkeit beider Kreuzdarmgelenke und eine erhebliche Tagesmüdigkeit beschrieben.

Beim Kläger liegt aber auch keine aufgrund der Schwere der Erkrankung und der durch sie verursachten Gesundheitsstörung die Lebensqualität auf Dauer nachhaltig beeinträchtigende Erkrankung vor, die sich durch ihre Schwere oder Seltenheit vom Durchschnitt der Erkrankungen abhebt. Soweit Dr. S. in seinem Gutachten vom 5. Dezember 2018 zu Gunsten des Klägers von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgegangen ist, überzeugt dies den Senat nicht. Denn Dr. S. hat in diesem Zusammenhang selbst darauf hingewiesen, dass bereits keine Unterlagen vorliegen, die eine Quantifizierung der Atempausen (mehr als zehn Sekunden) belegen. Auch der von Dr. R. in seiner Auskunft vom 12. September 2019 mitgeteilte Untersuchungsbefund ist insoweit unergiebig. Wie bereits dargelegt, hat er lediglich druckschmerzhafte paravertrebrale Myogelosen, eine Druckschmerzhaftigkeit beider Kreuzdarmgelenke und eine erhebliche Tagesmüdigkeit beschrieben. Fachärztliche Untersuchungsbefunde fehlen vollständig. Dies entnimmt der Senat zum einen der Auskunft des Dr. R. und zum anderen der Auskunft des Dr. W. vom 19. Dezember 2019. Aus der Auskunft von Dr. W. folgt, dass der Kläger zuletzt im Oktober 2016 von ihm untersucht worden ist. Einen aktuellen Untersuchungsbefund konnte Dr. W. deshalb nicht mitteilen. Andere behandelnde (Fach-)Ärzte hat der Kläger im gerichtlichen Verfahren nicht benannt.

Anhaltspunkte dafür, dass die vom Kläger angegebenen Schlafstörungen und die beklagte Tagesmüdigkeit auch zu erheblichen Beeinträchtigungen der Lebensqualität auf Dauer geführt haben, liegen nicht vor. Etwaige hierdurch bedingte Störungen der Konzentrations- oder Gedächtnisfähigkeit - wie vom Kläger im Berufungsverfahren behauptet - oder psychische Beeinträchtigungen wurden von Dr. R. weder im Arztfragebogen vom 20. November 2018 noch in seiner Auskunft vom 12. September 2019 mitgeteilt. Auch Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger an einer schwerwiegenden Form eines Schlafapnoesyndroms mit ganz massiven Schlafstörungen und daraus resultierenden erheblichen körperlichen und seelischen Beeinträchtigungen (etwa regelmäßig abnorme Einschlafneigung tagsüber oder Abnahme der intellektuellen Leistungsfähigkeit, was für eine mittelschwere Form sprechen würde - vgl. Pschyrembel online, Stichwort „Schlafapnoesyndrom“, Stand März 2018) leidet, liegen nicht vor. Denn eine entsprechende Klinik (abnorme Tagesmüdigkeit, diskontinuierliches lautes Schnarchen, Konzentrations- und Gedächtnisstörungen, Persönlichkeitsveränderung, morgendlicher Kopfschmerz, Erektionsstörung oder kardiale Arrhythmien; vgl. die diesbezüglichen Angaben zu Klinik unter Pschyrembel online, Stichwort „Schlafapnoesyndrom“, Stand März 2018) hat Dr. R. nicht mitgeteilt. Gleichermaßen - hierauf hat das SG zutreffend hingewiesen - liegt auch kein zahnärztlicher bzw. kieferorthopädischer Befund über das Vorhandensein typischer Anzeichen und Symptome eines Bruxismus (etwa Attrition der Zahnhartsubstanz, Abplatzungen oder gar Frakturen von Zähnen und Restaurationen, Schmerzen in den beteiligten Muskeln und Gelenken; vgl. Pschyrembel online, Stichwort „Bruxismus“, Stand April 2020) vor.

Im Übrigen handelt es sich beim Schlafapnoesyndrom auch nicht um eine seltene Erkrankung. Dies ergibt sich bereits aus den vom Kläger im Verwaltungsverfahren vorgelegten Unterlagen. Danach (Bl. 27 der Verwaltungsakte) leiden schätzungsweise neun Prozent der Männer und vier Prozent der Frauen unter schlafbezogenen Atmungsstörungen.

Selbst wenn man jedoch zu Gunsten des Klägers von einer schwerwiegenden Erkrankung ausgehen würde, lägen die übrigen Voraussetzungen des § 31 Abs. 6 Satz 1 SGB nicht vor. Der Senat konnte sich nicht davon überzeugen, dass allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen für die beim Kläger bestehenden Erkrankungen nicht zur Verfügung stehen (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1a SGB V). Auch besteht kein Anwendungsausschluss nach § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V.

Die Voraussetzung des Fehlens einer Standardtherapie knüpft an die Vorschrift des § 2 Abs. 1a SGB V an (BT-Drs. 18/8965, Seite 24). Insoweit ist für die Beurteilung des Vorhandenseins einer dem medizinischen Standard entsprechenden Leistung auf die Grundsätze zur evidenzbasierten Medizin abzustellen. Die Voraussetzung (Fehlen einer Standardtherapie) ist nur dann erfüllt, wenn eine Standardtherapie tatsächlich nicht zur Verfügung steht oder sie der Versicherte nachgewiesenermaßen nicht verträgt (Pitz, in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB V, Stand Juni 2020, § 31, Rn. 126). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat in diesem Zusammenhang bestätigt, dass mit Blick auf die Ähnlichkeit der Normstruktur der §§ 31 Abs. 6, 2 Abs. 1a SGB V es nicht willkürlich (Art 3 Abs. 1 Grundgesetz ) ist, wenn sich die Fachgerichte bei der Auslegung des § 31 Abs. 6 SGB V an die Rechtsprechung zu § 2 Abs. 1a SGB V anlehnen (BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 26. Juni 2018 – 1 BvR 733/18 – juris). Dabei ist weiter zu beachten, dass Voraussetzung für die Annahme, dass eine anerkannte Standardtherapie i.S.v. § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V nicht zur Anwendung kommen kann, ist, dass aufgrund individueller Umstände der Eintritt konkret zu erwartender Nebenwirkungen aufgezeigt wird, die aufgrund einer individuellen Abschätzung als unzumutbar anzusehen sind. Zur Begründung eines Anspruchs auf Versorgung mit Medizinal-Cannabis genügt es daher nicht, wenn nur allgemein auf die Möglichkeit des Eintritts von Nebenwirkungen bei Einsatz eines anerkannten und dem medizinischen Standard entsprechenden Arzneimittels verwiesen wird (LSG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. Dezember 2018 – L 5 KR 125/18 – juris, Rn. 34).

Unter Berücksichtigung dieser Voraussetzungen ist der Senat davon überzeugt, dass allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen i.S.v. § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1a SGB V zur Behandlung der durch das Schlafapnoesyndrom bedingten Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit und Zähneknirschen zur Verfügung stehen, die auch zur Anwendung kommen können (§ 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 1b SGB V). Vorab ist festzustellen, dass der Kläger nach seinen eigenen Angaben seit dem Jahr 2014 mit CPAP-Geräten versorgt ist und das Schlafapnoesyndrom hiermit therapiert wird. Soweit er im Berufungsverfahren vorträgt, dass diese Therapie nicht erfolgversprechend angewendet werden könne, steht dies im Widerspruch zu seinen Angaben im Widerspruchsverfahren. Danach besteht pneumologisch eine „ordentliche Einstellung“. Behandlungsziel ist vorliegend aber nicht die Behandlung des Schlafapnoesyndroms als solches, sondern die Verbesserung der durch das Schlafapnoesyndrom bedingten Schlafstörungen und der damit einhergehenden Tagesmüdigkeit des Klägers (vgl. zur Maßgeblichkeit des Behandlungsziels BSG, Urteil vom 7. November 2006 – B 1 KR 24/06 R – juris, Nr. 12). Dies entnimmt der Senat dem Arztfragebogen des Dr. R. vom 20.November 2018. Zur Erreichung dieser Ziele steht vorliegend u.a. eine Behandlung mit Schlafmitteln zur Verfügung. Hierauf hat Dr. R. in seiner Auskunft vom 12. September 2019 selbst hingewiesen. Insoweit geht auch er von zwar eingeschränkten, aber vorhandenen Therapiealternativen aus. Allerdings hat der Kläger nach den Angaben von Dr. R. bereits einen Versuch mit entsprechenden Medikamenten abgelehnt. Damit kann jedoch nicht festgestellt werden, dass die Behandlung des Klägers mit Schlafmitteln tatsächlich zu erheblichen Nebenwirkungen geführt hätte. Darüber hinaus ergibt sich aus dem Gutachten des Dr. S. vom 5. Dezember 2018, dass es für die Behandlung des Schlafapnoesyndroms zahlreiche anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistungen gibt, die auch in der S3-Leitlinie genannt werden. Neben den CPAP-Verfahren zählen danach auch die Gewichtsreduktion, Therapien mit Unterkieferprotrusionsschienen, Maßnahmen zur Vermeidung des Schlafes in Rückenlage sowie chirurgische Therapieverfahren zu den allgemein anerkannten und dem medizinischen Standard entsprechenden Leistungen bei einem Schlafapnoesyndrom und den hierdurch bedingten Folgen. Den Angaben des Dr. R. im Arztfragebogen vom 20. November 2018 und in seiner Auskunft vom 12. September 2019 lässt sich nicht einmal im Ansatz entnehmen, dass entsprechende Therapien erfolglos durchgeführt worden sind oder beim Kläger nicht zur Anwendung kommen können. Das Gegenteil ist vielmehr der Fall. Dr. R. hat in seiner Auskunft vom 12. September 2019 angegeben, dass der Kläger mittlerweile mit einer Unterkieferprotrusionsschiene versorgt ist. Ob hierdurch die genannten Behandlungsziele erreicht werden konnten, hat Dr. R. nicht angegeben. Darüber hinaus hat der Kläger selbst angegeben, dass eine Anpassung der Atemmasken bereits in der Vergangenheit durchgeführt wurde. Anhaltspunkte dafür, dass eine solche Anpassung zur Verbesserung des Tragekomforts und damit einhergehend der Schlafqualität nicht mehr möglich ist, liegen nicht vor.

Auf die Frage, ob durch die Anwendung von Cannabinoiden bei einem Schlafapnoesyndrom zur Vermeidung von Schlafstörungen mit Tagesmüdigkeit eine nicht ganz entfernt liegende Aussicht auf eine spürbare positive Einwirkung auf den Krankheitsverlauf oder auf schwerwiegende Symptome besteht (vgl. § 31 Abs. 6 Satz 1 Nr. 2 SGB V; ablehnend Bayerisches LSG, Beschluss vom 29. April 2019 – L 20 KR 67/19 B ER – juris, Rn. 42 ff.), kommt es vor diesem Hintergrund nicht an.

Der Senat weist ergänzend darauf hin, dass der Umstand, dass eine allgemein anerkannte, dem medizinischen Standard entsprechende Leistung zur Erreichung der Behandlungsziele zur Verfügung steht, auch dazu führt, dass die Voraussetzungen des § 2 Abs. 1a SGB V nicht erfüllt sind (vgl. hierzu Axer, in: Becker/Kingreen, Kommentar zum SGB V, 7. Aufl. 2020, § 31 Rn. 64).

Auf eine etwaige Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V kann der Kläger seinen Anspruch ebenfalls nicht stützen. Unter Aufgabe seiner früheren Rechtsprechung (vgl. hierzu zuletzt BSG, Urteil vom 27. August 2019 – B 1 KR 36/18 R – juris) hat das BSG mit Urteil vom 26. Mai 2020 (B 1 KR 9/18 R – juris) entschieden, dass eine fingierte Genehmigung nach dem Leistungsrecht der gesetzlichen Krankenversicherung keinen eigenständigen Naturalleistungsanspruch begründet, diese dem Versicherten lediglich eine Rechtsposition sui generis vermittelt, die es ihm erlaubt, sich die Leistung (bei Gutgläubigkeit) selbst zu beschaffen und es der Krankenkasse nach erfolgter Selbstbeschaffung verbietet, eine beantragte Kostenerstattung mit der Begründung abzulehnen, nach dem Recht der gesetzlichen Krankenversicherung bestehe kein Rechtsanspruch auf die Leistung. Dieser Rechtsprechung hat sich der erkennende Senat angeschlossen (Senatsurteil vom 20. November 2020 – L 4 KR 3635/19 – n.v.). Im Übrigen hat die Beklagte im vorliegenden Fall durch den Bescheid vom 11. Dezember 2018 (nach Antragseingang am 29. November 2018) innerhalb der Dreiwochenfrist des § 13 Abs. 3a Satz 1 SGB V über den Antrag des Klägers entschieden, so dass schon deswegen keine Genehmigungsfiktion eingetreten ist (wobei wegen der Einholung des MDK-Gutachtens vom 5. Dezember 2018 ohnehin eine Fünfwochenfrist galt; vgl. § 13 Abs. 3a Satz 2 SGB V).

4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 193 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 SGG.

5. Die Revision war nicht zuzulassen, da Gründe hierfür (vgl. § 160 Abs. 2 SGG) nicht vorliegen. .